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Radunfall

"Sturz über den Lenker" wegen blockierender Vorderradbremse /02a

2a. Physik_a: Wann und wie "stürzt man über den Lenker"?

Motto: Es kann doch nicht wahr sein, dass die Hersteller Bremsen auf den Markt bringen,
           die Unfälle verhindern sollen -- und dann selbst einen erzeugen!


0. Zusf 1. UnfB 2. Ph_a 2. Ph_b 3. V V 4. Tip_a 4. Tip_b 5. StNa 6. §§ 7. € 8. Vers 9. FAQ

 Synopse     ohne Java:  Synopse 

Inhaltsverzeichnis dieser Seite:
==> 2.1. Reibung Reifen/Untergrund
==> 2.2. Folgen des Blockierens
==> 2.3. Ablauf eines Unfalls
 ==> 2.3.1. Maximale sichere Geschwindigkeit
 ==> 2.3.2. Sturzgeschwindigkeit und -zeiten
==> nach unten

==> Inhalt "Bremsunfall"

==> home: Radtipps

2.1. Reibung Reifen/ Untergrund

Die Reibung des Reifens auf dem Untergrund hängt von dessen Beschaffenheit ab. Bei Blockieren der Vorderradbremse kann man zwei Fälle unterscheiden:

Fall A: Der Reifen haftet nicht mehr, er rutscht. Beispiele: Sandiger oder schmieriger Feldweg, Schnee, Eis, nasses Eis, ...

Fall B: Der Reifen haftet fest, er rutscht nicht. Beispiele: Trockener Asphalt, (sauberer) Beton, nasser Asphalt, ...

2.2. Folgen des Blockierens

Fall A: Durch die Ausgleichsbewegungen des Körpers neigt sich das Rad nach einiger Zeit und der Reifen rutscht zur Seite weg. Da man das Rutschen hört und fühlt, kann man in der Zeit, in der man gerade bleibt, eventuell die Bremse wieder lockern. Falls es doch zum Sturz kommt, kippt man normalerweise zur Seite und fällt nicht aufs Gesicht.

Fall B-a: Bei einer Geschwindigkeit von 6 bis 11 km/h steigt der Fahrer 10 bis 40 cm in die Höhe. Je nach Fahrkönnen fällt er dann wieder auf den Sattel zurück oder auf die Straße.

Fall B-b: Ab 6 bis 11 km/h gibt es kein Halten mehr, außer Sie lassen die VR-Bremse innerhalb der ==> 2.3.2.2. Sturzgeschwindigkeit und -zeiten. ganz los ==> Üben des Bremsens.
Bei Geradeausfahrt fliegen Sie spätestens ab 11 km/h über den Lenker und knallen mit dem Gesicht auf die Straße. In Kurven oder beim seitlichen Ausweichen sowie bei niedrigen Geschwindigkeiten von 6 - 11 km/h fallen Sie auf die Seite. Der Sturz kann schlimme Folgen haben; das reicht von blauen Flecken über ausgeschlagene Zähne bis zum Becken-, Schädel- oder Genickbruch ==> 1. Unfallberichte. Schädelverletzungen können Sie durch das Tragen eines Radhelms mindern.

oben

2.3. Fall B: Ablauf eines Unfalls durch eine blockierende Vorderradbremse auf guter Straße
                "Sturz über den Lenker"

Das hier gezeigte Modell soll die Gesetzmäßigkeiten erläutern. Trotz einiger Vereinfachungen entsprechen die Ergebnisse recht gut den praktischen Versuchen.

Zur einfacheren Erklärung werden nur die Geradeausfahrt und der Fall des sofort blockierten Vorderrads beschrieben ==> 2.5. Bremsen, Blockieren und Überbremsen und ==> 2.6. Übergang vom Überbremsen zum Blockieren. Das ist der Fall, wenn die aktuelle Bremskraft BK deutlich größer ist als die Grenz-Bremskraft Bb (etwa doppelt so groß).

2.3.1. Maximale sichere Geschwindigkeit

2.3.1.1. Grundlagen
ru_Physik
Bild 231: Physik "Sturz über den Lenker"
A   Aufsetzpunkt des Vorderrads
S   Schwerpunkt des Fahrers
c   Abstand A - S bei Sturzbeginn [m]
b   Überhöhung des S [m]
v    Geschwindigkeit des Fahrers [m/s]
vB    Geschwindigkeit des Fahrers am Beginn des Bremsvorgangs [m/s]
m    Masse des Fahrers [kg]
g   Erdbeschleunigung = 9,81 [m/s^2]
EK   kinetische Energie des Fahrers [Nm]
EP   potentielle Energie des Fahrers, bis das Rad zur Seite kippt [Nm]
K   Kurve, auf welcher der Fahrer zu Boden stürzt; zuerst Ellipse, dann Parabel

Der Fahrer fährt mit der Geschwindigkeit v. Er weist dabei eine kinetische Energie auf von
(1) EK = 0,5 * m * v^2 [Nm].

Wenn der Fahrer schlagartig bremst (und das VR nicht rutscht), wird die kinetische Energie EK zunächst umgelenkt in einen (in etwa elliptischen) Bogen um den Aufsetzpunkt des VR A (wobei A auf dem Radumfang nach vorne rollt).

Dabei trennen sich Fahrer und Rad (ist ausprobiert / der Schwerpunkt des Fahrrads liegt in etwa 0,4 m Höhe, der des Fahrers bei 1,2 m); deshalb wird das Rad nicht in die Rechnung einbezogen. Der Fahrer wird um b empor gehoben und nimmt dabei die potentielle Energie EP auf

(2) EP = m * g * b [Nm].

Ist EK größer als EP, so stürzt der Fahrer nach vorn. Meist streckt er die Hände nach vorn, um den Sturz abzufangen. Durch die Ausgleichsbewegungen des Körpers kippt das Rad zur Seite (ausprobiert, wenn auch unfreiwillig ==> 1.1.2. Unfallberichte). Allerdings gibt es auch Fälle, in denen der Fahrer so überrascht ist, dass er sich am Lenker festhält; dann stürzt er mit dem Rad ==> 1.1.11. Unfallberichte. Darauf fliegt der Fahrer in einer Parabel auf die Straße.

Anmerkung: Der Kippvorgang beschleunigt sich selbst, denn beim Anheben auf dem Bogen um A wird die Tangente am Kreis immer flacher. Der Kippvorgang braucht umso weniger nach vorn gerichtete Kraft, je weiter fortgeschritten er ist.

oben

2.3.1.2. Berechnung

Interessant ist die Geschwindigkeit, bis zu welcher der Fahrer wieder auf den Sattel zurückfällt, bzw. ab welcher er stürzt. Diese läßt sich durch Gleichsetzen der Energien errechnen.

(3) EP = EK = 0,5 * m * v^2 = m * g * b [Nm].

Nach Umformen der Gleichung kann die Geschwindigkeit v abhängig von der Höhe b errechnet werden.

(4) v =((m * g * b)/(0,5 * m)) ^0,5 = (2 * g * b) ^0,5 [m/s].
Das Ziehen der Bremse geschieht nicht schlagartig. Vom Anliegen der Bremsklötze bis zur Blockierung vergeht Zeit (geschätzt 0,1 s), in der das Rad mit einer Verzögerung von 0 bis zur Grenz-Verzögerung von ca. 5 m/s^2 abgebremst wird ==> 2.4.3. Bremskennlinie. Deshalb liegt die Geschwindigkeit am Beginn des Kippvorgangs vB noch etwas höher.
(4a) vB = v + 0,5 * (0 + 5) * t = v + 2,5 * 0,1 = v + 0,25 [m/s].
Damit ergibt sich folgende Tabelle:
 b [m]   0,10   0,20   0,40 
 v [m/s]   1,40   2,00   2,80 
 vB [m/s] 
     [km/h]
 1,65 
  6 
 2,25 
  8 
 3,05 
 11 

Weniger geübte Radler müssen also schon ab 6 km/h mit einem Sturz rechnen. Und bei 40 cm "Lupfen des Hintern" schafft es gerade noch ein laufend übender Fahrer, nicht zu Boden zu gehen.
Für einfache Radfahrer ist besonders gefährlich, wenn sie sich nicht fest am Lenker abstützen und dann nach vorne gegen den Lenker prallen und mit dem Rad (zur Seite) stürzen.

Ergänzung: Auf Basis der ==> 2.4.3.1. Diagramm-Beispiele sind im Folgenden Werte für den Winkel alpha (vor dem Sturz) ==> Bild 232 und die Überhöhung b ==> Bild 231 errechnet. Die laufende Nummer 5 (L-Nr 5) entspricht dem Durchschnitt der DIN 79100.
       tan(alpha) = l / h;
(14) b = c - h = (l^2 + h^2) ^0,5 - h [m];
L-Nr 1 2 3 4 5 6 5a*) 7 8
alpha [°] 29 27 21 25 27 29 32 27 27
b [m] 0,15 0,15 0,08 0,13 0,15 0,17 0,20 0,15 0,15
*) L-Nr=5a: nur bremsen, Gesäß ganz nach hinten geschoben (man sitzt auf den Oberschenkeln), d.h. ca. 0,1 m weiter hinten als bei der sportlichen Haltung L-Nr 5 ==> Bilder 242.
Die Differenz zwischen beiden Sitzpositionen beträgt 5°, das entspricht 9% Steigung/ Gefälle.
Während alpha genau errechnet werden kann (aus Fahrrad-Geometrie und Sitz-Position des Fahrers) ist b nur ein rechnerischer Wert, denn während eines Sturzes wird sich der Fahrer bewegen.
-- Vermutlich stützt sich der geübte Fahrer am Lenker ab, während das Fahrrad zurück bleibt.
   Damit wird die Schulter -- und damit der Schwerpunkt -- stärker angehoben. Unter dieser Voraussetzung kann die Überhöhung b größer sein als hier errechnet.
-- Schwächere Fahrer knicken mit den Armen ein und rutschen nach vorne. Hier ist die Überhöhung b geringer als errechnet.


Anmerkung1: Man beachte, dass die Masse/ das Fahrergewicht nicht in der Formel enthalten ist. Leichte und schwere Personen fallen bei der gleichen Geschwindigkeit vom Rad. Nur das Fahrkönnen hat einen Einfluss.
Die Bremskraft allerdings, bei der das Vorderrad blockiert, hängt u.a. stark von Gewicht und Sitzposition des Fahrers ab ==> 2.4.2. Einflussgrößen.

Anmerkung2: Obwohl der Schwerpunkt auf einem Bogen angehoben wird, erfährt der Körper selbst kein Drehmoment. Da die Füße am tiefsten sind, kommen sie zuerst auf dem Boden auf, dann folgen Bauch und die (hoffentlich) vorgestreckten Hände, zum Schluss knallt der Kopf auf die Straße (alles ist unfreiwillig ausprobiert). Gute Ratschläge, man solle sich abrollen, sind meist nicht praxisgerecht, eher der Versuch einen Bocksprung über den Lenker zu machen ==> 9.24.2. FAQ.

2.3.1.3. Praktische Versuche

Gründlich wie ich bin, habe ich die Theorie mit praktischen Versuchen ausprobiert.
6 km/h habe ich gut durchgestanden. Darauf bin ich jeweils 1 km/h schneller geworden. Aber bei 10 km/h musste ich schwer "zaubern", um nicht zu stürzen.

Ergebnis: Die Ergebnisse der Rechnung sind richtig.

Anmerkung: Vermutlich wird die angenommene Überhöhung b = 0,4 [m] in der Praxis nicht erreicht; die errechnete Geschwindigkeit ist nur deshalb richtig, weil andere Bauteile Energie aufnehmen, z.B. Reifen, Federgabel, usw..

oben

2.3.2. Sturzgeschwindigkeit und -zeiten

2.3.2.1. Grundlagen

ru_Zeiten1
Bild 232: Zeit und Geschwindigkeit
A   Aufsetzpunkt des Vorderrads
S   Schwerpunkt des Fahrers
VA   Geschwindigkeit am Anfang
des Kippvorgangs [m/s]
VO   Geschwindigkeit oben [m/s]
VE   Geschwindigkeit am Ende,
= Auftreff-Geschwindigkeit [m/s]
l   projizierte Länge von A zu S [m]
la   Abrollweg des VR
um den Winkel alpha [m]
hO   = h + b = (max.) Höhe oben [m]
alpha   Kippwinkel zwischen c und der Senkrechten

Der Fahrer fährt mit der Geschwindigkeit vB. Beim Anziehen der Bremse wird um etwa 1 km/h (= 0,25 m/s) verzögert und der Kippvorgang wird mit der -- etwas geringeren -- Geschwindigkeit VA eingeleitet und der Fahrer auf die Höhe oben hO angehoben. Dabei wird kinetische Energie verbraucht. Es verbleibt die Geschwindigkeit oben VO. Senkrecht über dem Aufsatzpunkt des Vorderrads -- dem Punkt "of no return" --, fällt der Fahrer aus der Höhe hO zu Boden. Durch die Erdanziehung erfährt er, zusätzlich zu VO, eine Fallgeschwindigkeit VF. VO und VF zusammen ergeben dann die Auftreff-Geschwindigkeit VE, mit welcher der Fahrer auf den Boden stürzt.

Der Gesamtweg lg, den der Fahrer dabei durchläuft, setzt sich aus dem Abstand S bis A, also der Länge l und dem Abrollweg la des Vorderrads beim Hochkippen des Rads um den Kippwinkel alpha zusammen.
Die max. Reaktionszeit tR, in welcher der Fahrer die Bremse noch lösen kann/ könnte, errechnet sich (vereinfacht) aus der mittleren Geschwindigkeit VM zwischen Anfang VA und oben VO, und dem Gesamtweg lg.
Da oben -- am "point of no return" -- auch eine gelöste Bremse den Sturz wegen der kinetischen Energie des Körpers nicht mehr abfangen kann, halte ich nur 2/3 dieser Zeit für eine mögliche Reaktionszeit. Davon ist noch die Verzögerungszeit für das Lösen der Bremse tB abzuziehen.

Die Gesamtzeit tG für den "Flug" vom Sattel bis zum Auftreffen des Fahrers auf dem Boden setzt sich aus zwei Zeiten zusammen: Die Kippzeit tK vom Anfang bis zum "point of no return" und die reine Fallzeit tF aus der Höhe hO.

2.3.2.2. Berechnung

Besonders interessant sind folgende Werte:

-- Mit welcher Geschwindigkeit stürzt man auf den Boden?
-- Welche max. Reaktionszeit verbleibt, um die VR-Bremse zu lösen?
-- Wie lange dauert der gesamte Flug?

Zur einfacheren Berechnung wird hier der ==> Bild 2.4.3.2 Beispiel Durchschnittsradler (L-Nr 5) angenommen: Größe 1,75 m, sportliche Haltung, dank einiger Übung stürzt er erst bei einer Überhöhung von b = 0,20 m. Das Fahrrad ist mit Reifen 622 * 42 (28" * 1,5") ausgerüstet. Damit liegen die Ausgangsgrößen fest.

l = 0,62 [m];   h = 1,20 [m];   b = 0,20 [m];   g = 9,81 [m/s^2];   tB(geschätzt) = 0,02 [s];
r = Radius des Vorderrads = (0,5 * 0,622 + 0,042) = 0,353 [m];   pi =3,14;

(15) tan(alpha) = l / h;   (16) la = r * pi * (alpha / 180) [m]

Mit l = 0,62 m und h = 1,20 m errechnet sich alpha mit 27° und der Abrollweg la mit 0,17 m.
Alle weiteren Werte errechnen sich wie folgt:

  (3a) EKO = EKA - EP [kg m^2/s^2]
(4b) VO = (VA^2 - 2 * g * b) ^0,5 [m/s]
(5) hO = h + b = 1,2 + 0,2 = 1,4 [m]
(5a) lg = l + la = 0,79 [m]
(6a) VA = vB - 0,25 [m/s]
(7) VM = (VA + VO) /2 [m/s]
(8) VF = (2 * g * hO) ^0,5 [m/s]
(9) VE = (VO^2 + VF^2) ^0,5 [m/s]
(10) tR = 0,67 * lg / VM - tB [s]
(11) tG = tK + tF =
       = lg / VM + (2 * hO / g) ^0,5 [s]
 
vB [km/h] 11 16 21 31
VA [km/h]
      [m/s]
10
2,8
15
4,2
20
5,6
30
8,3
VO [m/s] 2,0 3,7 5,2 8,1
VM [m/s] 2,4 3,9 5,4 8,2
VF [m/s] 5,2 5,2 5,2 5,2
VE [m/s]
     [km/h]
5,6
20
6,4
23
7,4
27
9,6
35
tR [s] 0,20 0,11 0,08 0,05
neu neu neu neu neu
tK [s] 0,33 0,20 0,15 0,10
tF [s] 0,53 0,53 0,53 0,53
tG [s] 0,86 0,73 0,68 0,63

2.3.2.3. Ergebnis

Bremst der Fahrer mit etwa der doppelten Kraft der Grenz-Bremskraft Bb ==> 2.4. Das Bremsen am Vorderrad, so blockiert das Vorderrad sofort. Für Geschwindigkeiten zu Beginn des Bremsvorgangs zwischen 11 und 31 km/h gilt dann:

Wenn der Fahrer nur wenig stärker bremst als es für die Grenz-Bremskraft Bb nötig ist (F = 1,1 - 1,3), so geht der Kippvorgang wesentlich langsamer vor sich ==> 2.6.4.4. Ergebnisse Überbremsen/ Blockieren.


Kontakt: Radtipps
Letzte Änderung: 18.04.10

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